geblochert

Freitag, 7. Mai 2004

Der Bundesrat der Negation

Am Freitag hat Bundesrat Christoph Blocher, medienwirksam wie immer, Bilanz zu seinen erste 100 Tagen gezogen. Vorher hat er, medienwirksam wie immer, eisern geschwiegen, auf dass sich das Interesse ganz auf diesen Freitag konzentriere. Also wartete die Nation gespannt auf das, was da kommen würde.

Das Gekommene konnte man in den Samstagszeitungen nachlesen. Es ist in vierfacher Hinsicht erstaunlich. Nicht überraschend, denn es ist typisch Blocher. Aber erstaunlich, weil es auch noch Blocher ist, wenn dieser im Bundesrat sitzt.

Erstens: Der Anspruch Blochers. Jeder „normale“ Bundesrat äussert sich in einer 100-Tage-Bilanz primär bis ausschliesslich zu seinen Departementsgeschäften. Nicht so Blocher. Seine Rede vor der Presse war ein allgemein politischer Rundumschlag zum (schlechten) Stand der Nation, so, als wäre er der Präsident oder Generalfeldmarschall dieses Landes. Nach wie vor ist der ehemalige Nationalrat und AUNS-Chef durchdrungen von der Mission, dieses Land retten zu müssen.

Zweitens: Die Perspektive Blochers. Sie ist äusserst begrenzt. Sie orientiert sich vor allem am Sparbegriff. Die gegenwärtige Sparmanie aller Kreise ist das Ergebnis des wirtschaftlichen Abschwungs, der seit ein paar Jahren im Gange ist. Es ist ein zeitlich begrenztes Phänomen, das kein Thema mehr sein wird, wenns wieder aufwärts geht. Dennoch macht Blocher es zum Hauptgegenstand seiner Bemühungen. Das ist so, als würde ein Minister all seine Energie daransetzen, ein einziges Anliegen, ein einziges Gesetz durchzubringen. Das mag eine beeindruckende Leistung sein, es ist aber keine langfristige Politik.

Drittens: Blochers Negativismus. Der neue Bundesrat findet das Positive nur in der Verneinung. Seine intellektuelle Leistung besteht darin, Schädliches aufzuspüren und auszumerzen, nicht aber Nützliches zu entdecken und zu fördern oder gar Positives selber zu erschaffen. Blocher betet nach wie vor die fünf Prinzipien der reinen Lehre herunter und erhebt den freisinnigen Slogan der Nationalratswahlen vor 12 Jahren zum zentralen Leitbild für die Schweiz des dritten Jahrtausends („Weniger Staat, mehr Verantwortung“). Fazit: Hier ist ein Mann am Werk, für den der Staat fast nur aus Fehltritten besteht. Der alles in ein Korsett calvinistischer Genügsamkeit pressen möchte und alles zur Sünde erklärt, was sich daneben noch emporranken könnte. Deshalb auch dieses geozentrische Weltbild, das nach wie vor die Schweiz zum Mittelpunkt der Welt erklärt und alle Abweichler mit der heiligen Inquisition bestraft.

Viertens: Blochers Flucht ins Absurde. Sobald der neue Bundesrat Ansätze zu etwas Konstruktivem entwickelt, wird er so verkrampft, dass diese ins Surreale kippen. Offensichtlich spürt auch er manchmal den Drang, statt abzureissen aufzubauen. Doch irgendwie steht ihm sein Calvinismus davor, und ein kleiner Teufel vermasselt die Sache. Das einzig Konstruktive, was von Bundesrat Blocher am Freitag zu hören war, war die Forderung nach öffentlichen Bundesratssitzungen. Immerhin mal eine Idee. Aber gleichzeitig auch ein Witz, wie der Antrag, die Tourismusförderung auf einen Franken zu kürzen. Jeder Sekundarschüler weiss, dass in einem Kollegialsystem Sitzungen nicht öffentlich sein können. Öffentlich machen kann diese Sitzungen nur jemand, der nicht kollegial sein will. Sind wir da plötzlich wieder bei einem blocherschen Grundzug angelangt? Das Konstruktive bleibt im Ansatz stecken, es bekommt keine Nahrung.

Fazit der 100 Tage: Blocher scheint ein Bundesrat zu werden, dessen Gestaltungskraft im Negativem liegt. Das kann zweifellos viel bewirken, aber nicht viel Positives.

Mit freundlicher Genehmigung der Zeitung Südostschweiz, Andrea Masüger, Chefredaktor

alcastella

Verein ehemaliger Studierender der FHS Soziale Arbeit St. Gallen

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