Mittwoch, 15. September 2004

„Das git 2 Stund Zuesatzarbet!“

...oder „über den Umgang mit ‚körperlicher Ertüchtigung’ auf einer Gruppe für verhaltensauffällige, (teils) schwererziehbare, milieugeschädigte Buben von 11-16 Jahren“

Wie oft dachten wir schon ‚Ach, mach doch was du willst’, wenn der 12-jährige Franz* wieder einmal (verbal) massiv über die Stränge geschlagen hat, sich faul auf sein Bett setzt und nichts macht („Ich hann kai Luscht…“) anstelle seines Ämtlis – und dies so an uns hängen bleibt, denn schliesslich kommen am Morgen noch die Gäste zu Kafi & Gipfeli, da sollte der Tisch doch bitte sauber sein. Oder für die Sozialpädagogin ist am Freitag (!) erst um 20.30Uhr anstatt 18Uhr Feierabend + Wochenende, da sich der Franz schlichtweg verweigert und keinen Grashalm Jät zupft, das er als Wochenaufgabe erhalten hatte. Dem Sepp rutscht im Wutanfall der Finken aus der Hand und – schwupps, geht die Fensterscheibe zu Bruch, welche der Gärtner und Alleskönner (= Allrounder) des Betriebs wieder flicken muss. Der nächste soll mittels Unterschrift wählen, ob er in Zukunft sich doch am Schulunterricht beteiligen will oder ob er stattdessen die Alternative wählt – und diese wäre (im genauen Wortlaut) „körperliche Ertüchtigung“. In fact heisst es in diesem Falle zum Beispiel: im Stall bei den Kühen helfen, Holz ‚biige’, Kartoffeln auflesen, heuen bei brütender Hitze (das ist dann allerdings ohne Absicht), dem Gärtner helfen, das Doppelte jäten, Swimmingpool-Graben schaufeln, oder sonst irgendetwas, das im Idealfall noch etwas mit der konkreten vorausgegangenen problematischen Situation zu tun haben sollte. Na dann viel Spass bei der Planung, denn es gibt da ja noch ein Tagesämtli (= das übliche, alltägliche Saubermachen), das erwähnte Wochenämtli, das Rüsten welches gerade diese Woche unserer Gruppe zufällt, plus die vielen Kleinigkeiten, die auch noch gemacht werden müssen.
Es ist sinnvoll und gut (die Erleichterung über diesen Fundus an Möglichkeiten wird einem als neustes Teammitglied schnell bewusst), diverse Konsequenzen quasi aus dem Stegreif aussprechen zu können, wenn es die Jungs wieder einmal geradezu darauf angelegt haben, mittels Provokationen unsere Toleranz- und Geduldsgrenze zu testen. Nur – wirkt mit der Zeit für diese Kinder und Jugendlichen nicht nur schon allein das Wort „Arbeit“ abschreckend? Klar, den späteren Beruf, die spätere Arbeitsstelle, die sie hoffentlich finden werden, können sie (hoffentlich) selber wählen, aber trotzdem. Auch hier ist Leistung gefragt. Und irgendwann macht es dann nicht mehr ein anderer früher oder später, sondern es kommt ganz allein auf sie selbst an. Nächste Frage: werden Franz, Sepp und die anderen eines Tages vielleicht immun gegen Konsequenzen, auch wenn sie mit viel körperlicher Arbeit zu tun haben, weil sie sich mit der Zeit (und den Jahren, die sie schon im Kinderheim sind) daran gewöhnt haben? Der Vorwurf eines noch nicht 14-Jährigen, das sei ja Kinderarbeit, das sei verboten („So wie diä in Indie mit dä Fuessbäll“…), mag lächerlich erscheinen im gesamten Zusammenhang, darüber nachdenken (und sich positionieren) muss man wohl, wenn ein neues pädagogisches Konzept entwickelt wird.

… und so bleibt einem an der eh schon vollgepackten Teamsitzung nichts anderes übrig, als konstruktiv an weiteren, neuen, pädagogisch vertretbaren Lösungsansätzen (sprich: Konsequenzen) herumzutüfteln, wie wir diesen Knaben im Falle eines Falles begegnen, sodass – objektiv gesehen - keine Partei das Nachsehen hat und auch die anderen Buben, die unsere Aufmerksamkeit beanspruchen, nicht vergessen gehen.

alcastella

Verein ehemaliger Studierender der FHS Soziale Arbeit St. Gallen

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