Sonntag, 7. November 2004

Staatskrise – Ja oder Nein? Eine (1/2) ernste Einschätzung

Befindet sich die Schweiz in einer Staatskrise? Nur weil zwei Bundesräte sich streiten? Die „Spritzkanne“ hat bei Experten nachgefragt.

Tagelang berichtete die stärkste Zeitung der Schweiz über die Staatskrise in unserem Lande. In dieser schweren Zeit will sich deshalb auch die „Spritzkanne“ mit diesem ernsten Thema befassen. Sie hat zwei Experten zum Streitgespräch gebeten: Chefredaktor Wilhelm Klepper von der Zeitung, welche die Substantivierung des Sehens zu ihrem Namen gemacht hat, sowie den Politologen Karl Neuhof.

- Herr Neuhof, steckt die Schweiz in einer Staatskrise, wie die Zeitung von Herrn Klepper behauptet?
Neuhof: Die Skandalisierung des politischen Personals ist heute so evident progressiv, dass eine Deeskalation des Themas eine unerwünschte Katharsis auslösen müsste bzw. täte.
- Wie bitte?
Neuhof: Wir nennen das Primäreffekt des Skandalisierungsprozesses. Dieser kulmiert regelmässig in einer Hyperattribution der Zielperson. Wie im Fall Aliesch.
Klepper: Dieser Pelzmantel zeigt doch klar, dass die Medien eingreifen müssen. Auch was Blocher getan hat, ist unhaltbar.
- Was hat er denn getan?
Klepper: Er hat sich dem Bundesrat am Abstimmungssonntag verweigert. Nur schon das ist ein Skan-dal …
Neuhof: Völlig klar: Sie biegen die politische Relevanzkurve in eine konvexe Form. Nur der Medienre-zipient merkt es nicht.
Klepper: Abgesehen davon, dass sich Herr Couchepin dadurch natürlich provoziert fühlte.
- Aber Couchepins Reaktion war doch übertrieben.
Neuhof: An sich üblich bei einer medial-affektoralen Vorskandalisierung. Der noch nicht Skandalisierte will gewissermassen aufholen, was zu reaktiven Durchbrüchen führt.
Klepper (zeigt auf Neuhof): Ich weiss nicht, was der meint. Fact ist, dass uns Couchepin für Montag ein Interview versprochen hatte, in dem er auspacken wollte. Dann hat uns die ‚NZZ am Sonntag’ gesoffen. Das konnten wir nicht zulassen.
- Dann sind Ihre Schlagzeilen also nur so heftig ausgefallen weil sie beleidigt waren.
Klepper: Nein, äh, wir mussten einfach die Themenführerschaft zurückerobern, und da haben wir beschlossen…
Neuhof: … so lange am Skandalisierungsrad zu drehen, bis Casus und Gegencasus komplementär in Position gingen. Das beobachten wir immer wieder, insbesondere bei der Pekuniärpresse, was unweigerlich …
Klepper: … ein Themenfeld daraus zu machen, so wie mit dem Erbslipreis, das wir am Mittwoch lancierten oder mit dem neuen Kniegelenk von Nella Martinetti.
Neuhof: … in ein sozioökonomisches Desaster führt.
- Ein Themenfeld?
Klepper: Ja genau. Man stellt eine These auf und beackert diese dann mindestens zwei Wochen lang. Wenn man sie hinterher begründen kann: gut. Wenn nicht: auch gut, denn Leser behalten einen Text gemäss einer Demoscope-Studie nur ca. 24 Stunden.
- Dann könnte man theoretisch den Inhalt Ihres Blattes alle zwei Tage wiederholen. Sie brauchten nur zwei Zeitungsinhalte, die sie alternierend bringen.
Klepper: Sie werden staunen, aber das haben wir uns schon mal überlegt. Das Problem ist nur: Was machen Sie, wenn jemand eine alte Zeitung findet? Oder Zeitungen gar aufbewahrt?
Neuhof: Eine typische Form von monetär-neuralem Marketing. Es erstaunt mich, dass nun auch Ringier solche eigentlich nur in primitivgraduierten Verlagen übliche Subkulturisation zu betreiben gedenkt.
Klepper: Was quatscht der eigentlich dauernd?
- Wieso sind Sie gerade auf dem Begriff „Staatskrise“ gekommen? Bei der Fichenaffäre zum Beispiel sagte das kaum jemand.
Klepper: Ja, gut, wir brauchten ein kurzes Wort wegen dem Layout. Da hat „Staatskrise“ gut gepasst.
Neuhof: Auch das ist kausaltypisch. Die Formaldominanz marginalisiert in der Tagespresse langsam jede Contentpriorisierung.
- Und wieso druckten Sie am Dienstag nochmals das ganze, drei Tage alte Couchepin-Interview ab?
Klepper: Ja, äh, nun, wir hatten etwas viel Platz ausgespart. Und die Umfrage hat nicht mehr viel hergegeben. So haben wir das Interview nochmals gebracht.
- Als Seitenfüller.
Klepper: Nein, als wichtiges, staatspolitisches Dokument.
Neuhof: Repetition hat noch nie eine Essentialisierung ausgelöst. Das müssten Sie Ihrem redaktionel-len Schreibpersonal vielleicht einmal verbalisieren.
- Und jetzt ist die Kampagne zu Ende? Und die Staatskrise auch?
Klepper: In der Tat haben wir einen Gang zurückgeschaltet. Wir bekommen einfach keine süffigen Statements mehr. Auch alt Bundesrat Delamuraz wollte nichts mehr sagen.
- Sie befragen auch tote Bundesräte?
Neuhof: Typisch auch hier: Die Skandalisierungsschraube ignoriert selbst alle Mortalitätseffekte. Eine unglaubliche soziokompetentale Desolation!
Klepper: Halten Sie jetzt mal den Mund, ja? Ich kapiere kein Wort von Ihrem Soziologengelaber!
Neuhof: Die übliche aggressivignorante Defensivposition. Nicht ungewöhnlich für die Bildungsstufe 3.
Klepper: Sie müssten mal unserer Eliane schreiben. Die kuriert alle Verklemmten.
Neuhof: Jetzt auch noch verbalinjuriale Ausfälle. Auch das passt in die Morphologie Ihres Spatzen-hirns!
Klepper: Spatzenhirn! Spatzenhirn! Das Erste, was ich verstanden habe! Mensch, Soziologe, Sie werden ja richtig volkstümlich!
- Ich bitte Sie, meine Herren …
Klepper: He, Spatzenhirn, wollen Sie in meiner Zeitung eine Kolumne schreiben?
Neuhof (erstaunt): Wieso?
Klepper: Dann hören Sie auf, uns öffentlich zu kritisieren. Embeded Journalism nennen wir das seit dem Irakkrieg. Sind Sie dabei?
Neuhof: Das interpendiert mit einer gewissen monetären Interrogativsituation.
Klepper: Bitte auf Deutsch, Spatzenhirn.
Neuhof: Was zahlen Sie?
Klepper: Da werden wir uns sicher einig … Einen ersten Auftrag habe ich schon: eine soziokulturelle Betrachtung über Couchepins Staatsverständnis. Dann können wir die „Staatskrise“-Headline noch-mals hervorholen!

Mit freundlicher Genehmigung der Zeitung Südostschweiz

alcastella

Verein ehemaliger Studierender der FHS Soziale Arbeit St. Gallen

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